Jacques Lacombe dirige Holofernes

 
1er juin 2016

Holofernes

Premiere: 29.5.2016

Interessantes Werk, musikalisch schlüssig, inszenatorisch allerdings defizitär geboten

TRAILER (Regisseur Weber im Gespräch)

Mit weit über hundert Seiten ist das aktuelle Programmheft der Oper Bonn üppiger als alle vorherigen. Nun kam mit Emil Nikolaus von Rezniceks „Holofernes“ aber auch ein Werk zur Aufführung, welches nach seiner Premiere 1923 an der Städtischen Opern Berlin (und einigen Wiederaufnahmen in der Folgezeit –Titelrolle: Michael Bohnen) nie mehr gespielt wurde. In seiner Chemnitzer Intendantenzeit hatte Bernhard Helmich mit „Benzin“, einem „heiter-fantastischen Spiel mit Musik“, sogar eine posthume Uraufführung geboten (2010). Mit Walter Braunfels‘ „Der Traum ein Leben“ begann er in Bonn eine Spielplandramaturgie, welche besonders das Opernschaffen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Visier nimmt.

Für das Nachspielen ausgegrabener Werke muss man Theatern Zeit lassen. Nicht immer schlägt eine Oper so ein wie Mieczyslaw Weinbergs „Die Passagierin“. Im Falle Reznicek blieb sogar der Kieler Einsatz für die einstmals beliebte „Donna Diana“ (2003) bislang folgenlos. Aber wenigstens bieten CD-Mitschnitte von Aufführungen (hochgestimmter Dank an das Label cpo) längerfristig die Möglichkeit, sich über ein Werk zu informieren. Die Kieler „Donna Diana“ ist weiterhin greifbar, auch die Studioproduktion von „Ritter Blaubart“. „Benzin“ soll bald erscheinen, ebenso „Holofernes“ nach den Radiosendungen von WDR (19.6.), Deutschlandradio (25.6.) sowie SWR (10.7.). Auch Braunfels ist versprochen. Im sinfonischen Bereich tut sich bei Reznicek auch so Manches, wobei vor allem Michail Jurowski und Frank Beermann das Szepter bzw. den Dirigentenstab schwingen.

Emil Nikolaus von Reznicek wird gerne als „Meister der Verwandlung“ bezeichnet. Man könnte auch das Wort Anpassung benutzen. Wie weit das auch auf die Rolle des Komponisten im Dritten Reich zutrifft, kann hier nicht erörtert werden, dann wären auch Strauss und Pfitzner fällig – ein zu weites Feld. Reznicek war freilich ein durchaus selbstbewusster Schöpfergeist. Beim Schreiben ließ er sich immer von einem inneren „Muss“ leiten, akzeptierte durchaus ohne Schwierigkeiten, dass seine Werke nicht immer auf Gegenliebe stießen, vielleicht sogar in der Schublade verschwanden.

Sein „Holofernes“ basiert auf Friedrich Hebbels Drama „Judith“. Unter diesem Titel gibt es aus früherer Zeit Veroperungen u.a. von Alexander Serow (1863) und Siegfried Matthus (1985) Nicht von ungefähr stellt Hebbel Judith in den Mittelpunkt, ist sie doch Retterin des bethulischen Volkes vor Unterdrückung durch die Assyrer. Mordbereit wagt sie sich in die Höhle des Löwen, zu Holofernes nämlich. Dieser ist nichts anderes als ein geiler, herrischer Macho, als Charakter im Grund uninteressant. Aber das Gegenüber der schönen Judith setzt in ihm neue Gefühle frei, wie auch Judith angesichts dieses potenten Mannes bislang verborgene Sehnsüchte verspürt. Den Mord am Feind vollbringt sie zwar, aber der Schluss lässt Fragen offen. Ein Kind aus der blutig verlaufenden Liebesnacht kann und will sie nicht empfangen, lieber sterben. Reznicek (selbstverfasstes Libretto) begnügt sich aber nicht mit Andeutungen: Judith gibt sich vor versammeltem Volke den Tod.

Gefühlsverwirrungen bei den Protagonisten spürt die Inszenierung Jürgen R. Webers nicht weiter nach. Einigermaßen uferlos spielt er mit den Möglichkeiten der Bühne, wobei einem nicht alles (vermutlich) symbolisch Gemeinte einleuchtet. Projektionen wabern und wabern, unter ihnen immer wieder Zitate aus dem Stummfilm „Judith of Bethulia“ von D.W. Griffith, 1913)..Ansonsten spielt sich im Hollywood-Ambiente (Bühne: Hank Irwin Kittel, Kostüme: Kristopher Kempf) viel Stehtheater mit seltsamem Gebärden-Schnickschnack ab. Beim Mord an Holofernes spritzt das Blut fontänenhaft. In summa: wenig Dienst am Werk, was auch die eindeutig ablehnende Reaktion des Premierenpublikums zeigte

Rezniceks Musik ist ein Stilkonglomerat ohne wirklich persönliche Handschrift, aber wirkungsvoll und theatralisch suggestiv. Dass sie immer wieder den spätromantischen Orchesterklang und die expressive Melodik sucht, macht sie für Interpreten freilich dankbar. Das wird bei Jacques Lacombe und dem Beethoven Orchesters von Anfang an engagiert deutlich: große Klanggebärden, raffinierte Farbmischungen. Ab 2016/17 wird Lacombe für zwei Spielzeiten die Lücke überbrücken, welche Stefan Bluniers zorniger Abschied von Bonn (Etatkürzungen) verursacht. Im Konzertbereich wird in der nächsten Saison Christoph Prick zur Verfügung stehen.

Bei den Sängern gibt es eine Reihe von Comprimario-Partien, welche nicht weiter auffallen. Pauschale Namensnennung also: Daniel Pannermayr (Oberpriester von Bethulien), Jonghoon You, Nicholas Probst, Sven Bakin (Hauptmänner), Martin Tzonev (Assad; Gesandter von Mesopotamien), Egbert Herold (Trabant), Nina Unden (Stimme). Ein laszives Solo hat die Tänzerin Karioca. Ein noch stärkeres Interesse vermag die mezzohelle Ceri Williams auf sich zu ziehen. Als Abra, Judiths Dienerin, wird sie freilich ziemlich wuselig geführt. War da ein Komik-Kontrast beabsichtigt? Johannes Mertes absolviert als Hauptmann des Holofernes einen tenoral prunkenden Auftritt.

Die Titelpartie, also der wahrhaft abstoßende Holofernes, ist für Mark Morouse eine weitere heldenbaritonale Stufe in seiner eindrucksvollen Karriere an der Bonner Oper. Sängerisch exzellent, wird er in seiner durchaus ergiebiger vorzustellenden Rolle von der Regie indes kaum gefordert, ist im Grunde nur ein lärmiger Poltergeist. Auch in Judiths Innenleben hätte die Regie mehr forschen dürfen und müssen. Aber mit ihrem leuchtkräftigen, doch stets schlanken Sopran, welcher sich vor einiger Zeit auch bei Wagners Senta bewährte, hat die Südafrikanerin Johanni van Oostrum alle nur denkbaren Sympathien auf ihrer Seite.

Christoph Zimmermann 31.5.16

Bilder siehe unten !

HOLOFERNES

Premiere am 29.05.2016

Mehr ist mehr? Unsinnig und überladen

Lieber Opernfreund-Freund,

Erkennen Sie die Melodie? hieß eine musikalische Rateshow rund um Oper, Operette und Musical, die von 1969 bis 1985 ausgestrahlt und zuletzt von Günther Schramm moderiert wurde. Wer die eingängige Titelmelodie zu dieser Sendung einmal gehört hat, wird sie immer wieder erkennen. Diese Melodie ist der Ouvertüre zu „Donna Diana“ von Emil Nikolaus von Reznicek aus dem Jahre 1894 entnommen, dessen „Holofernes“ gestern in Bonn ausgegraben wurde. Und genauso viele Fragezeichen wie so mancher Quizshowkandidat hatte ich im Kopf, als ich das Haus am frühen Abend - das Werk hat eine Spieldauer von nur 90 Minuten - wieder verließ und kann deshalb gleich mit meinem Resümee beginnen (obwohl ich sonst grundsätzlich immer der Ansicht bin, dass Oper im wahrsten Sinne des Wortes gespielt werden muss): Dann doch lieber konzertant!

Nikolaus von Reznicek, der während des „Dritten Reiches“ dem Regime gegenüber Wohlverhalten vortäuschte, um seine als Spionin für die Engländer tätige Tochter nicht zu gefährden, war während dieser Zeit deutscher Deligierter im Ständigen Rat für die internationale Zusammenarbeit der Komponisten. Heutzutage ist er vor allem für die eingangs genannte Melodie bekannt, die noch ab und an bei Wunschkonzerten zu Gehör gebracht wird. Seine übrigen zehn Opern und Operetten sind ebenso vergessen wie die zahlreichen Orchester-, Chor- und Kammermusikwerke des gebürtigen Wieners.

Wer allerdings beim rund 30 Jahre später entstandenen „Holofernes“ noch leichtfüssige, gefällige Musik erwartet, täuscht sich. Das Werk 1923 uraufgeführte Werk ist musikalisch wahrlich polystilistisch. Anklänge an Wagner, Strauss und d’Albert sind unverkennbar, es zeigt schwelgerische spätromantische Passagen ebenso wie wuchtig-pathetische Klanggewalt. Der gehaltvolle Text des Komponisten nach Friedrich Hebels Drama „Judith“ erzählt die Geschichte um Judith und Nebukadnenezars Feldherrn Holofernes. Die Bewohner Bethuliens werden von den Assyrern unterjocht und belagert, leiden Hunger und Durst, so dass Teile der Bevölkerung schon zur Kapitulation bereit sind. Oberpriester Osias hält jedoch die Menge zurück. Judith macht sich mit ihrer Vertrauten Abra auf den Weg in das Lager der Assyrer und wird bei Holofernes vorstellig, der sofort von ihrer Schönheit begeistert ist. Sie äußert ihm gegenüber ihre Verachtung, ist aber doch selbst fasziniert von dem selbstverliebten, machtbesessenen Feldherrn. In der Nacht gibt sie sich ihm hin und schneidet ihm im Schlaf den Kopf ab, den sie mit in ihre Stadt nimmt. Dort wird sie als Befreierin gefeiert, doch sie will nicht weiterleben und verlangt als Lohn für ihre Tat, selbst getötet zu werden. Als man ihr das verweigert, tötet sie sich selbst. Die musikalische Qualität, mit der von Reznicek das Geschehen beschreibt, ist wirklich beachtlich, steigert sich im Laufe des Abends nach eindrucksvoller Ouvertüre und interessantem ersten Akt zu einem stilistisch geschlosseneren zweiten zu einem wahrlich imposanten Finale und lohnt die Ausgrabung. So sehr der Oper Bonn hierfür Dank gebührt, so wenig nachvollziehbar ist die Entscheidung, mit der Umsetzung einen Regisseur zu verpflichten, der dermaßen wenig mit dem Werk anzufangen weiß.

 

Jürgen R. Weber überfrachtet seine Inszenierung mit allerlei sinnlosen Mätzchen und stellt die Bühne dermaßen voll (imposante Aufbauten von Hank Irwin Kittel), dass die Protagonisten kaum zwei Schritte gehen können und sich dadurch sämtliches Geschehen vorne an der Rampe abspielt. Er vorortet die Geschichte in der Zukunft, wie einem StarTrek-Film entstiegen erscheinen die Bewohner Bethuliens mit enormem Kopfputz, mit futuristische Uniformen ausgestattet sind die Assyrer. Diese Kostüme von Kristopher Kempf sind liebevoll und detailreich gearbeitet, eindrucksvoll und gelungen auch Judiths Kleid im zweiten Akt, das mit fleischfarbenem Stoff unterlegt und sie dadurch nahezu nackt erscheinen lässt. Doch einen Sinn sucht man in dieser „Aktualisierung“ vergeblich. Zum inszenatorischen Gemischtwarenladen gehören neben Judiths Tanz an der Pole-Stange und Lara Croft-Auftritt, unverzichtbare Phallussymbole, eine allgegenwärtige Wassermelone die selbstredend am Ende mit dem Schwert bearbeitet wird und Videoeinspielungen, die die Produktion für allzu zart Besaitete ungeeignet machen und das minutenlange, enervierende Köpfen einer Puppe oder die Bearbeitung eines Herzens mit der Machete zeigen. Hektoliterweise spritzendes Theaterblut, das im dramatischsten Moment des Werkes für Lacher sorgt, dilettantisch in die Produktion eingebundene Tauben und eingesetztes Blaulicht haben allenfalls Schultheaterniveau und zielen dermaßen am Werk vorbei, dass man sich mehr als einmal in einer Persiflage glaubt. Dabei sagt mir das alles nur eines, nämlich gar nichts. Schade!

Wird doch auf hohem Niveau musiziert. Mark Morouse glänzt in der Titelrolle und läßt seinen wohlklingenden wie beeindruckenden Bariton strömen, Johanni van Oostrums Judith ist eindrucksvoll und berührend gespielt und ausgezeichnet gesungen. Sie zeigt einen farbenreichen Sopran und meistert die schwierig zu singende Partie mit Bravour. Ihr zur Seite glänzt Ceri Williams als Magd Abra mit vollem Mezzo und komödiantischen Talent, Daniel Pannermayrs Oberpriester ist ebenso eindrucksvoll wie Johannes Mertes, der Holofernes’ Hauptmann Achior mit strahlendem Tenor ausstattet. Martin Tzonev überzeugt als Assad wie als Gesandter und auch die zahlreichen kleineren Rollen sind allesamt mehr als adäquat besetzt. Der Chor, von Marco Medved sorgfältig einstudiert, singt auf ebenso hohem Niveau wie das Beethoven Orchester Bonn musiziert. Am Pult dirigiert Jacques Lacombe sehr differenziert, läßt imposante Klanggewalt ebenso zu wie feine, beinahe sphärische Klänge. Verdientermaßen einhelligen Applaus und zahlreiche Bravorufe gibt es für das komplette musikalische Team, ebenso geschlossen ertönen zahlreiche Buhs, als sich das Produktionsteam zeigt.

Am Ende einer jeden Spielzeit wähle ich meinen persönlichen „vergeudeten Abend“. Ich glaube nicht, dass das gestern Gesehene in den verbliebenen sechs Wochen noch irgendwo getoppt werden kann und kann Ihnen einen Besuch, bei aller Qualität von Komposition und musikalischer Umsetzung, nicht empfehlen. Ich hoffe für das interessante Werk, dass sich bald ein anderes Haus findet, das ihm eine adäquate Umsetzung ermöglicht - zur Not auch konzertant.

Ihr Jochen Rüth / 30.05.2016

Immerhin sehr schöne Bilder - Dank an Thilo Beu.

 

 
 
Photo : Steve Rosen
Photo : Steve Rosen