Holofernes - Thanks to Jacques Lacombe
31.05.2016 BONN. Musikalisch lohnend, szenisch enttäuschend: Emil Nikolaus von Rezniceks unbekannte Oper „Holofernes“ in Bonn.
Der Applaus nach der Premiere von Emil Nikolaus von Rezniceks Oper „Holofernes“ hielt exakt so lang, bis Regisseur Jürgen R. Weber die Bühne betrat. Dann brach ein Buh-Sturm los, wie man ihn in der Bonner Oper schon lange nicht mehr erlebt hat. Dabei ist das Publikum mit Webers satirisch überzeichnendem, mit bildgewaltigen Fantasy-Elementen spielendem Inszenierungsstil durchaus vertraut. In Walter Braunfels’ Oper „Der Traum ein Leben“, bei deren Bonner Wiederentdeckung vor zwei Jahren er ebenfalls Regie führte, erhielt Weber noch ungeteilten Beifall.
Was große Teile des Publikums im „Holofernes“ nicht gefallen hat, darüber lässt sich ordentlich spekulieren. Vielleicht erschien der Zugriff des Regisseurs auf den alttestamentlichen Stoff, auf dessen Dramatisierung durch Friedrich Hebbel Rezniceks selbst verfasstes Libretto basiert, manchem zu unentschieden schwankend zwischen blutiger Drastik und Slapstick-Humor.
In Rezniceks 1923 in Berlin uraufgeführtem „Holofernes“, der bis jetzt keine weitere Inszenierung erlebte, geht es wie in Hebbels Drama, das den Namen der weiblichen Protagonistin Judith als Titel führt, freilich nicht nur um den politischen Konflikt zwischen den hebräischen Bewohnern Bethuliens und den Assyrern. Im Zentrum steht die junge Witwe Judith, die, um ihr Volk zu retten, sich erst dem assyrischen Feldherrn Holofernes hingibt und ihn dann enthauptet. Was in Bonn übrigens mit meterhoch spritzenden Blutfontänen illustriert wird. Nach ihrer grausigen Tat sucht sie selbst den Tod: „Ich will dem Holofernes keinen Sohn gebären“, erklärt sie ihrem Volk, bevor sie sich ins Schwert stürzt. Aber man weiß auch, dass sie in der kurzen Begegnung dem Machtmenschen Holofernes bereits verfallen war.
In Rezniceks neunzigminütigem „Holofernes“ schwingen durchaus Motive der 18 Jahre älteren Strauss-Oper „Salome“ mit: Macht, Tod und Sexualität sind auch hier enge Vertraute. Es ist halt die Zeit, in der Sigmund Freud die Sexualität als den bestimmenden Trieb im Menschen ausmachte, was in den Künsten jener Zeit auf starke Resonanz stieß. Weber hält mit Anspielungen nicht hinter dem Berg, die allerdings mitunter reichlich platt daherkommen, wenn etwa ein Riesenphallus über die Bühne schwebt. Symbolträchtig ist auch die Videoprojektion einer Babypuppe, der mit einem Messer der Hals durchtrennt wird. Die Szenen aus D. W. Griffiths Stummfilm „Judith of Bethulia“ von 1913, die dort ebenfalls zu sehen sind, wirken hingegen eher ornamental. Das lenkt ab vom eigentlichen Drama, ebenso wie die überladene Bühne Hank Irwin Kittels und die historisierenden Fantasy-Kostüme von Kristopher Kempf.
In Webers wilder an Tarantino und Schlingensief geschulter Mischung hat es die Musik nicht ganz leicht, sich durchzusetzen. Dank Jacques Lacombe, der ab der kommenden Spielzeit für zwei Jahre Chefdirigent an der Oper wird, erlebt man aber ein Stück, das trotz des eklektizistischen Changierens zwischen romantischer Harmonieseligkeit und scharfen expressionistischen Dissonanzen aus einem Guss geformt scheint. Lacombe dirigiert überaus detailfreudig, hebt die Soli plastisch hervor und produziert mit dem Beethoven Orchester einen hinreißenden Streicherklang. Dass die Wortverständlichkeit an diesem Abend vorbildlich ist, liegt zu einem Teil an Rezniceks Orchestrierungskunst, aber vor allem auch am fabelhaften Solistenensemble. Angeführt wird es von Johanni van Oostrum, die nicht nur mit strahlendem Sopran beeindruckte, sondern auch mit ihren Martial-Arts- und Poledance-Einlagen. Der in einer Monsterrüstung verpackte Mark Morouse als Holofernes ist mit seinem prachtvollem Bariton ein würdiger Nachfolger für den Interpreten der Berliner Uraufführung, den Bassbariton Michael Bohnen. Daniel Pannermayr (Oberpriester), Ceri Williams (Abra), Johannes Mertes (Holofernes’ Hauptmann), Martin Tzonev und weitere Solisten sangen auf ebenso hohem Niveau wie der von Marco Medved einstudierte Chor. Die Tänzerin Karica verlieh der musikalisch lohnenden, von Operndirektor Andreas K. W. Meyer betriebenen Ausgrabung eine zusätzliche Prise Orientalismus.
Weitere Termine: 2., 18. und 24. Juni, 3. Juli. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen. WDR 3 sendet am 19. Juni, 20.05 Uhr, einen Mitschnitt der Premiere. (Bernhard Hartmann)